Psychiatrie und Psychotherapie
Die Psychiatrie (im Deutschen auch Seelenheilkunde) ist die medizinische Fachdisziplin, die sich mit der Vorbeugung, Diagnostik und Behandlung von psychischen Störungen beschäftigt. Sie umfasst zudem die Lehre vom abnormalen Verhalten. Sie hat sich als eigenständige Disziplin aus der Nervenheilkunde entwickelt, die früher auch das Gebiet der heutigen Neurologie abdeckte.
Der Begriff Psychiatrie wurde 1808 von dem in Halle wirkenden Arzt Johann Christian Reil geprägt, der darunter die „therapeutische Funktionalisierung seelischer Wirkungen“ verstand. Ursprünglich benutzte man (wie Reil erstmals 1808 Wort Psychiaterie, das später zu Psychiatrie umgewandelt wurde und sich aus den griech. Wörtern ψυχὴ (psyche) für „Seele“ und ἰατρός (iatrós) für „Arzt“ zusammensetzt.
Ein Blick in die Geschichte
Erst etwa Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Behandlung von psychischen Leiden oder Geisteskrankheiten, wie man es damals üblicherweise bezeichnete, eine Aufgabe von Ärzten. Damit wurde die Psychiatrie ein medizinisches Fach. In dieser Zeit entstanden viele der grossen psychiatrischen Kliniken.
1860 wurde auch der Neubau der Psychiatrischen Klinik Rosegg am Stadtrand von Solothurn gebaut (heutiges Wohnheim der Stiftung Solodaris). Viele dieser Kliniken wurden an den Stadtrand oder ganz im ländlichen Gebiet gebaut, was wahrscheinlich einen doppelten Grund hatte. Zum einen waren die oft auffälligen Kranken raus aus der Stadt, zum anderen waren sie in einer heilsameren ruhigen Umgebung mit der Möglichkeit zur Mitarbeit in der angrenzenden Landwirtschaft.
Erst etwa hundert Jahre später, etwa 1950 wurde das erste spezifische Medikament gegen die Symptome der Schizophrenie entwickelt (Chlorpromazin= Largactil®). Wenige Jahre danach kam das erste Antidepressivum (Imipramin = Tofranil®) auf den Markt. Diese Medikamente halfen vielen PatientInnen mit viel weniger Einschränkung und störenden Krankheitssymptomen zu leben, wenn auch die Krankheiten dadurch nicht geheilt werden konnten.
Trotzdem: die Tore der Psychiatrischen Kliniken haben sich in den folgenden Jahrzehnten stetig mehr geöffnet, so dass heute viel weniger PatientInnen über Jahre in Psychiatrischen Kliniken leben müssen. Auch die Psychotherapie hat sich in den vergangenen hundert Jahren stark entwickelt. Abgesehen von der Hypnose, die schon seit der Antike praktiziert wurde, entstand die moderne Psychotherapie am Ende des 19. Jahrhunderts.
Die von Sigmund Freud gegründete Methode, Psychoanalyse genannt, zielte darauf ab, seelische Fehlentwicklungen und Symptome rein mit dem Mittel des Einsicht vermittelnden Gesprächs zu kurieren.
Seine Therapiemethode fand ungeheure Beachtung und beeinflusste nicht nur Psychiatrie und Medizin, sondern auch Kultur und Gesellschaft über das ganze 20. Jahrhundert.
Nach 1950 entstanden viele psychotherapeutische Zugänge, die mehr auf die unmittelbare Erfahrbarkeit von seelischen Zuständen abzielten, sei es durch Einbezug und Wahrnehmung des Körpers, durch Inszenierung von früheren Erfahrungen in der Behandlungsstunde, durch Entspannung und Anregung durch Musik, Malen etc. Auch in dieser Zeit wurde die Verhaltenstherapie stark weiterentwickelt. Diese hat den Vorteil, dass sie sich gut strukturieren lässt und für PatientIn, TherapeutIn und auch für die Forschung in nachvollziehbare und kontrollierbare Schritte unterteilen lässt.
Und heute
In den 1990er Jahren untersuchte der Berner Psychotherapieforscher Klaus Grawe, welche Methode denn am wirksamsten ist. Seine viel beachteten Arbeiten zeigen, dass viele Methoden wirksam sind und dass es gemeinsame Merkmale gibt, die sich bei vielen unterschiedlichen Methoden als wirksam erwiesen. Trotz grosser Vielfalt an Methoden, fand er fünf Hauptwirkfaktoren, die eine wirksame und erfolgreiche Psychotherapie auszeichnen.
Fünf Hauptwirkfaktoren für eine wirksame und erfolgreiche Psychotherapie
nach K. Grawe, Psychologische Therapie, 2000
Therapeutische Beziehung
Die Qualität der Beziehung zwischen dem Psychotherapeuten und dem Patienten trägt zu einem besseren oder schlechteren Therapieergebnis bei.
Motivationale Klärung
Die Therapie fördert mit geeigneten Massnahmen, dass der Patient ein klareres Bewusstsein der Ursprünge, Hintergründe und aufrechterhaltenden Faktoren seines problematischen Erlebens und Verhaltens gewinnt.
Ressourcen-Aktivierung
Die Eigenarten, die die Patienten in die Therapie mitbringen, werden als positive Ressource (=Fähigkeit) für das therapeutische Vorgehen genutzt.
Problem-Bewältigung
Die Behandlung unterstützt den Patienten darin, positive Bewältigungserfahrungen im Umgang mit seinen Problemen zu machen.
Problem-Aktualisierung
Die Probleme, die in der Therapie verändert werden sollen, werden unmittelbar erfahrbar. Das kann z.B. dadurch geschehen, dass Therapeut und Klient reale Situationen aufsuchen, in denen die Probleme auftreten, oder dass sie durch besondere therapeutische Techniken wie intensives Erzählen, Imaginationsübungen, Rollenspiele o.ä. die Probleme erlebnismäßig aktualisieren.
Behandlung von menschen mit psychischen erkrankungen
Die Behandlung, Betreuung und Begleitung von Menschen mit psychischen Erkrankungen ist längst nicht mehr alleinige Aufgabe von psychiatrischen Kliniken und psychiatrischen Diensten. Eine Vielzahl von öffentlichen und privaten Einrichtungen bietet heute eine sehr grosse Palette von Unterstützung an, die angemessenes und würdiges Leben ermöglichen sollen. Die Einrichtungen der psychiatrischen Kliniken und Institutionen haben sich stark aufgegliedert hin zu Angeboten, die PatientInnen möglichst angepasst auf ihre spezifische Störung und ihre Erkrankungsphase behandeln, unterstützen und begleiten.
So gibt es heute im Kanton Solothurn spezialisierte Abteilungen für schizophrene Erkrankungen, für Angst und Depression, für Suchterkrankungen, für psychosomatische Störungen, eine Abteilung für Alterserkrankungen und eine Klinik für Kinder und Jugendliche. Neben den stationären Angeboten der Kliniken gibt es aber auch sogenannte halbstationäre Programme (Tageskliniken), die oft als Zwischenschritt zwischen der Klinikbehandlung und dem weiteren Leben im gewohnten sozialen Umfeld dienen. Seit den frühen 1990er Jahren ist die Hirnforschung zu einem grossen und wichtigen Forschungszweig in Medizin und Naturwissenschaft geworden.
Unser Wissen über die Vorgänge im Gehirn haben sich in den letzten 20 Jahren vervielfacht. Mit faszinierenden neuen Untersuchungsmethoden schauen wir dem Gehirn heute quasi bei der Arbeit zu.
Trotzdem sind grosse Fragen weiter völlig ungelöst, so etwa die Frage, wie das Denken genau funktioniert und vor allem, was sich genau verändert, wenn jemand an einer psychischen Störung erkrankt. So ermöglichen die Erkenntisse aus dieser Forschung weiterhin nicht, eine psychiatrische Diagnose rein auf Grund von technischen Untersuchungen (bildgebende Verfahren) oder Laboruntersuchungen zu stellen. Auch eine spezifische Therapie für die bestimmten Krankheiten und Störungen ist aus den neuen Erkenntnissen der Hirnforschung bis jetzt nicht hervorgegangen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass wir viel – mehr denn je – über unser Gehirn wissen, ungleich viel mehr wissen wir aber nicht.
Das ist kein Grund zur Verzweiflung, höchstens für Bescheidenheit und Respekt für die ungeheure Komplexität unseres etwas mehr als ein Kilo schweren Steuerungsorgans im Innern des Schädels.
Zwei
Entspannungs-verfahren
Bei vielen psychischen Leiden ist die Fähigkeit zur körperlichen und seelischen Entspannung eingeschränkt. Es kann deshalb eine grosse Hilfe sein, systematisch diese Entspannung zu üben. Die Progressive Muskelentspannung nach Jacobsen und das Autogene Training nach Schulz sind zwei fast hundert Jahre alte Verfahren, die sich für die tägliche Uebung sehr gut eignen, da sie einfach zu erlernen und mit wenig zeitlichem Aufwand praktiziert werden können. Ich habe für die beiden Verfahren eine kurze Information verfasst. Obwohl sie selber erlernt werden können, ist es in vielen Fällen hilfreich oder gar notwendig, diese Verfahren unter Anleitung kundiger TrainerInnen zu erlernen.
Progressive Muskel-entspannung
Autogenes Training
Weiterführende Informationen
Im Kanton Solothurn ist die Psychiatrische Klinik in Langendorf die Klinik innerhalb der Solothurner Spitäler AG, welche für das gesamte Spektrum an psychischen Erkrankungen geeignete Behandlungsangebote eingerichtet hat. Diese entsprechen durchwegs den gültigen Standards für die Behandlung dieser Krankheiten und Störungen.
Die Stiftung Solodaris engagiert sich in umfangreicher Weise für die berufliche und soziale Eingliederung von Menschen mit einer psychischen Krankheit. Solodaris bietet auch die Unterstützung und Information Angehöriger an und ist Hauptorganisatorin der Solothurner Aktionstage für Psychische Gesundheit.
Startseite der IV-Solothurn, Formular für eine Anmeldung bei der Invalidenversicherung des Kantons Solothurn.
Peter Gasser, Dr. med.
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie FMH
Hauptbahnhofstrasse 5
4500 Solothurn